Position zur geplanten Übergabe der Zuständigkeit für artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen für die Tiergruppe „Fledermäuse“ an die Unteren Naturschutzbehörden

 

Als Teil der am 7. Juli 2010 vom Landtag Mecklenburg-Vorpommern beschlossenen Funktionalreform im Rahmen der Verwaltungs- und Kreisgebietsreform in Mecklenburg-Vorpommern ist unter anderem die Übergabe der Zuständigkeit für artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen für die Tiergruppe „Fledermäuse“ vom Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG) als Obere Naturschutzbehörde an die (Unteren) Naturschutzbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte vorgesehen (vergl. u.a. Drucksache  5/2684, Entwurf  eines  Gesetzes  über  die  Zuordnung  von Aufgaben  im  Rahmen  der Landkreisneuordnung, 8.7.2009). 

Dies ist aus Sicht des Landesfachausschuss für Fledermausschutz und –forschung im NABU Landesverband Mecklenburg-Vorpommern (LFA-FM) aus folgenden Gründen nicht akzeptabel:

  1. Eine artenschutzrechtliche Beurteilung für die Tiergruppe „Fledermäuse“ für Ausnahmegenehmigungen erfordert hochspezialisiertes Fachwissen. Im Rahmen der geplanten Dezentralisierung der Zuständigkeit für artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen muss dieses Fachwissen von den Kreisen und kreisfreien Städten vorgehalten und die Bereitstellung auch überprüft werden, was mit der jetzigen Personalausstattung kaum erreichbar sein wird. Es entsteht ein hoher Schulungs- und Kontrollbedarf und im Vergleich zur zentralen Zuständigkeit ein erheblicher finanzieller Mehraufwand. Insbesondere muss eine Harmonisierung der Genehmigungsverfahren auf Landesebene durch einheitliche Standards gewährleistet sein. Hierzu möchten wir hervorheben, dass es sich um Beurteilungen von Ausnahmen, also Einzelfällen im eigentlichen Wortsinn, handelt. Die Einhaltung landesweiter Untersuchungs- und Bewertungsstandards kann unter vertretbarem Aufwand nur durch eine zentrale Genehmigungsbehörde mit Fachpersonal mit einschlägiger Ausbildung sichergestellt werden, die im Ausnahmefall mit dem Wissen um die landesweite Bedeutung einer Art reproduzierbar entscheidet.

  2. Dies berührt gleichfalls eine mögliche Aufteilung der Zuständigkeit nach Arten (vereinfacht: häufigere Arten – Untere Naturschutzbehörden, seltenere Arten – LUNG), da die sichere Artansprache bei Fledermäusen und die Abwägung der möglichen Verwechslungsgefahr und anderer Faktoren (z.B. durch die Vergesellschaftung von Arten in Quartieren) ebenso entsprechende Fachkenntnisse und jahrelange einschlägige Erfahrung erfordert. In diesem Falle müssen auch die Unteren Naturschutzbehörden Fachwissen zu den selteneren Arten vorhalten, da ansonsten fast zwingend davon auszugehen ist, dass häufigere Arten mit selteneren Arten verwechselt werden oder andere Fehler auftreten und in der Folge bei der Prüfung der Verträglichkeit eines Vorhabens Fehler mit negativen Auswirkungen auf gesetzlich geschützte Arten auftreten. Viel stärker wiegt, dass bei einem Vorhaben in der Regel negative Auswirkungen auf mehrere Fledermausarten geprüft werden müssen. Fledermäuse kommen häufig in Artengesellschaften vor (dies trifft insbesondere auf die Winterquartiere und Jagdgebiete zu). Bei einer Aufteilung der Zuständigkeit nach Arten ist zu erwarten, dass bei Verfahren, die vergesellschaftete seltene und häufige Fledermausarten betreffen, eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen dem LUNG und den Unteren Naturschutzbehörden erforderlich ist. Dies führt zu einem erheblichen personellen und finanziellen Mehraufwand im Vergleich zur jetzigen Vorgehensweise. Wir heben in diesem Zusammenhang ausdrücklich hervor, dass in M-V nur 17 Fledermausarten nachgewiesen sind. Darunter finden sich 4 Arten, die seit mehreren Jahren nicht mehr bestätigt wurden (Zweifarbfledermaus letztmalig 2008; Graues Langohr und Kleine Bartfledermaus letztmalig 2004; Nordfledermaus letztmalig 1999). Insbesondere bei dieser geringen Artenanzahl ist eine Aufteilung der Zuständigkeit für die Genehmigung von Ausnahmen, also Einzelfällen im eigentlichen Wortsinn, aus unserer Sicht nicht zweckmäßig.

  3. Die Städte und Gemeinden wären im Falle der Übergabe der Zuständigkeit für artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen für die Tiergruppe „Fledermäuse“ an die Unteren Naturschutzbehörden Antragsteller und Genehmigungsbehörden in juristischer Person der Bürgermeister. Der Europäische Gerichtshof entschied, dass bereits die Auswirkungen einer solchen Entscheidung ausgeschlossen sind (vergl. EuGH, Urteil v. 10.1.2006 – Rs. C-98/03 – [Kommission ./. Deutschland]). Auf Grundlage des Urteils kam es in der BRD zur Überarbeitung des BNatSchG, in deren Folge auch die Naturschutzgesetzgebung in M-V angeglichen werden musste. Im Ergebnis dieses Prozesses wurde in M-V gerade die einheitliche Bearbeitung des Artenschutzes in einer übergeordneten Behörde, im LUNG, eingeführt. 

  4. Alle in M-V vorkommenden und insbesondere die nach Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie) Anhang II prioritären Fledermausarten (z.B. Mopsfledermaus, Teichfledermaus, Großes Mausohr) sind ungleichmäßig über das Land verteilt und können während des Jahresverlaufs über größere Entfernungen wandern, so dass eine Prüfung auf Verträglichkeit über Kreisgrenzen hinweg auf Landesebene erforderlich ist.  Für die Beurteilung im Ausnahmefall ist das Wissen um die landesweite Bedeutung eines regionalen Fledermausvorkommens außerdem wichtig. Eine sehr enge Zusammenarbeit zwischen dem LUNG und den Unteren Naturschutzbehörden, die für eine Beurteilung auf Landesebene notwendig wäre, verursacht erhebliche Mehrkosten im Vergleich zur aktuell praktizierten zentralen Beurteilung durch das LUNG. Eine auf Landkreise und kreisfreie Städte bezogene Prüfung auf Verträglichkeit eines Vorhabens, die mit einer Dezentralisierung der Zuständigkeit für artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen sehr wahrscheinlich ist, ist für den Schutz von Fledermäusen nicht zweckmäßig und widerspricht den Vorgaben des BNatSchG und der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie).

  5. Beeinträchtigungen des Erhaltungszustandes einer Fledermausart in einem Kreis oder einer kreisfreien Stadt können durch Vorhaben in einem anderen Kreis oder einer anderen kreisfreien Stadt auftreten (vergl. EuGH, Urteil v. 10.1.2006 – Rs. C-98/03 – [Kommission ./. Deutschland]). Fledermäuse nutzen im Jahresverlauf mehrere Quartiertypen (Wochenstuben, Männchenquartiere, Winterquartiere etc.) und Nahrungshabitate, die je nach Nutzung unterschiedlichen Anforderungen genügen müssen. Daraus und aus der Tatsache, dass es spezifische Präferenzen bezogen auf die Quartier- und Jagdgebietsstruktur gibt (z.B. wald- bzw. gebäudebewohnende Fledermausarten) ergibt sich eine Vielzahl an möglichen Beeinträchtigungen des Erhaltungszustandes. Es handelt sich unter anderem bei der Aufhebung eines Quartiers stets um eine absolute Ausnahme und einen besonders schweren Fall (vergl. BNatSchG), bei dem eine flächige Auswirkung über Kreisgrenzen hinweg auf die Fledermauspopulation zu erwarten ist. Bei allen vorkommenden Fledermausarten, insbesondere jedoch bei mobileren und wandernden Arten (z.B. Großer Abendsegler, Rauhhautfledermaus, Teichfledermaus), muss somit die Prüfung auf Verträglichkeit eines Vorhabens mindestens auch durch die Genehmigungsbehörden benachbarter Kreise oder kreisfreier Städte gleichsam erfolgen. Es entsteht ein hoher Abstimmungsbedarf zwischen den Naturschutzbehörden. Dies bedeutet im Vergleich zur Prüfung durch eine zentrale Genehmigungsbehörde einen erheblichen Mehraufwand. Eine regionale Beurteilung der Beeinträchtigung steht klar im Widerspruch zum BNatSchG und der Richtlinie 92/43/EWG (FFH-Richtlinie).

  6. Eine Gemeinde wird immer die Kosten für naturschutzrechtliche Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen auf Grund der Finanzprobleme so gering wie möglich halten. Damit wird eine optimaler Ausgleich und Ersatz entfallen. In der Vergangenheit traten in M-V hier bereits erhebliche Probleme auf. Maßnahmen waren sowohl fachlich, qualitativ und quantitativ wenig geeignet oder unzureichend ausgeführt worden, eine Kontrolle der Funktionsfähigkeit der Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen unterblieb. Im Ergebnis dessen konnte mehrfach belegt werden, dass der gesetzlichen Forderung des Erhalts einer lokalen Fledermauspopulation und des Verschlechterungsverbots nicht nachgekommen werden konnte. Mit der Übergabe der Zuständigkeit für artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen für die Tiergruppe „Fledermäuse“ ist mit einer weiteren Verschärfung der Situation zu rechnen. 

  7. Die Vergabe von artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigungen durch das LUNG erfolgt unterstützt durch ehrenamtlich tätige Fledermausfachleute, die im LFA-FM organisiert sind. Durch die Übertragung der Zuständigkeit würde der bestehende und gewachsene Kontakt der Genehmigungsbehörde LUNG zu den ehrenamtlich tätigen und im Genehmigungsverfahren beratenden Fledermausfachleuten in diesem Punkt gebrochen und müsste dezentral durch 8 Genehmigungsbehörden (6 Landkreise und 2 kreisfreie Städte) neu aufgebaut werden. Dies birgt die Gefahr eines erheblichen Rückschritts im Fledermausschutz in Mecklenburg-Vorpommern. Zudem würde der/die ehrenamtlich Tätige von mindestens 8 unterschiedlichen Naturschutzbehörden angefragt werden und müsste sich seinerseits/ihrerseits an mindestens 8 Naturschutzbehörden wenden. Dies ist für das Ehrenamt nicht mehr tragbar.

  8. Die Erteilung einer artenschutzrechtlichen Ausnahmegenehmigung soll dem Wortsinn nach nur in seltenen Einzelfällen erfolgen. Erhebliche Beeinträchtigungen der Fledermauspopulation sind zu vermeiden. In diesem Zusammenhang soll nicht unerwähnt bleiben, dass ein wichtiges Instrument des (gesetzlichen) Fledermausschutzes ist, dass der Vorhabenträger gegenüber der Genehmigungsbehörde ein hohes Maß an Respekt hat. Wenn in den schweren Fällen, in denen eine artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung erteilt werden muss, eine Landesbehörde anstelle einer Unteren Naturschutzbehörde auftritt, so wird eine deutlich höhere Wertschätzung erreicht. Insbesondere bei Privatleuten, an deren Eigentum Fledermausquartiere vorhanden sind, kann so eine erhebliche Akzeptanzsteigerung erreicht werden, die die Duldung des Fledermausquartiers ermöglichen kann. 

Mit der Durchsetzung des Naturschutzrechts zur Sicherung und zum Erhalt der Fledermäuse und deren Quartier gibt es bis heute in M-V erhebliche Probleme.  So sind u.a. gesetzlich geschützten Fledermausquartiere in Gebäuden und Bäumen verloren gegangen oder Fledermauskolonien erheblich beeinträchtigt worden, die für unser Bundesland und die Bundesrepublik von besonderer Bedeutung sind. Als Beispiele sollen hier drei Fälle genannt werden:

  • Zerstörung Mückenfledermauswinterquartier Graal-Müritz (größtes europäisches Winterquartier dieser Art mit ca. 5.000 Tieren).
  • Vertreibung der Mausohrenwochenstube Fürstensee durch zweijährigen Verschluss der Einflüge (Das Große Mausohr ist prioritäre Fledermausart nach Anhang II, Richtlinie 92/43/EWG / FFH-Richtlinie und in M-V sind nur drei Wochenstuben der Art bekannt).
  • Fällung von 12 Bäumen mit nachgewiesenen Wochenstuben der Mopsfledermaus im „Hütter Wohld“ (Der Wald ist ausgewiesen als FFH-Gebiet mit Zielart Mopsfledermaus. Die Mopsfledermaus ist prioritäre Fledermausart nach Anhang II, Richtlinie 92/43/EWG / FFH-Richtlinie). 

Deshalb können wir uns in M-V keine weiteren Experimente erlauben. Wir gehen bei der Abänderung der Zuständigkeit im Naturschutz in M-V nicht von einer "heilen" Fledermauspopulation aus. Durch vorangegangene Maßnahmen wie der Abänderung der Baugesetzgebung und der damit verbundenen erheblichen Probleme ist die Fledermauspopulation bereits stark geschädigt. Eine weitere Zuspitzung der Situation muss in M-V unter allen Umständen ausgeschlossen werden. 

Deshalb lehnt der LFA-FM die Übergabe der Zuständigkeit für artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen für die Tiergruppe „Fledermäuse“ an die Unteren Naturschutzbehörden grundsätzlich ab. 

Wir fordern die zuständigen Stellen hiermit dazu auf, die Zuständigkeit für artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen bei der Oberen Naturschutzbehörde LUNG zu belassen und die Handlungsfähigkeit durch Aufstockung von Personalmitteln zu erhöhen. Nur so wird der Artenschutz

zukünftig auf Grundlage der angeführten Argumente in angemessener Weise und nach landesweit einheitlichen Standards entsprechend den gesetzlichen Vorgaben berücksichtigt, ohne einen erheblichen personellen und finanziellen Mehraufwand und eine Entfernung des Ehrenamts von der Genehmigungsbehörde in Kauf zu nehmen.